Stephenschlüpfer von Keulemans
Der flugunfähige Stephenschlüpfer war mit einer Gesamtlänge von etwa zehn Zentimetern ein relativ kleiner Vogel. John Gerrard Keulemans, Public domain, via Wikimedia Commons)

Stephenschlüpfer

Die Entdeckung des Stephenschlüpfers

Wie auch der Dodo gehört der Stephenschlüpfer zu den bekannten Beispielen ausgestorbener Vogelarten, weil die Art und Weise seines Aussterbens so prägnant und zugleich dramatisch war; und weil sich die Geschichte des Stephenschlüpfers vereinfacht darstellen ließ: Er wurde von einer Katze, die ein Leuchtturmwärter mit auf die Insel Stephens Island brachte, entdeckt und kurz darauf ausgerottet. So erzählt sich der klassische Fall für das Aussterben einer Inselart, die keine Abwehr- oder Schutzmechanismen gegenüber zuvor nicht vorhandene Säugetier-Raubtiere besitzt.

Stephens Island
Die nur 1,84 Quadratkilometer große unbewohnte Felseninsel Stephens Island befindet sich in der Cookstraße zwischen der Nord- und der Südinsel Neuseelands. Sie bildet den nördlichsten Punkt der Südinsel. (© Vallee, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Und nun die Geschichte vom Stephenschlüpfer von Anfang an: Als Arbeiter 1892 auf die unbewohnte Insel Stephens Island kamen, um den Bau eines Leuchtturms, der die westlichen Zugänge zur Cook-Straße überwachen sollte, und der zugehörigen Einrichtungen zu beginnen, fanden sie eine Fülle von Vogelarten vor: Sattelvögel, verschiedene Drosseln und Stummelschwänze oder Schlüpfer. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Insel selten besucht und weitgehend unberührt geblieben, mit intaktem Buschwald und ohne eingeführte Säugetiere.

Die Arbeiten am Leuchtturm wurden Anfang des Jahres 1894 abgeschlossen und eine Besatzung von drei Leuchtturmwärtern zog mit ihren Familien auf die Insel. Neben Schafen und Rindern wurden im Februar des Jahres auch mindestens eine trächtige Katze auf die Insel gebracht. Im Juni 1894 begann eine Katze (vielleicht war ihr Name Tibbles), kleine Vögel zu fangen und sie dem Leuchtturmwärter David Lyall vor die Tür zu legen.

Da Lyall, der ornithologisch interessiert war, diese Art nicht kannte, bewahrte die Exemplare auf und ließ sie präparieren. Als das Versorgungsschiff Hinemoa die Insel ansteuerte, gab Lyall einen der Bälge einem Ingenieur namens A. W. Bethune, der ihn nach Wellington brachte und Sir Walter Buller vorlegte, dem führenden Vogelkundler Neuseelands. Buller erkannte sofort, dass es sich um eine neue Art handelte und stellte sie bei einem Treffen der Wellington Philosophical Society im Juli 1894 vor. Er plante, eine detaillierte Beschreibung der neuen Art in der Fachzeitschrift Ibis zu veröffentlichen, und arrangierte, dass das Exemplar nach London geschickt wurde, um eine Illustration anfertigen zu lassen. Zu dieser Zeit hoffte Buller noch, weitere Exemplare von Lyall zu erhalten.

Allerdings verbreitete sich die Nachricht über die neue Vogelart schnell und Henry Travers, ein erfahrener Sammler, der ebenfalls Vögel von Lyall erhielt, sah die Gelegenheit, diese Exemplare an den britischen Ornithologen Walter Rothschild zu verkaufen, der dafür bekannt war, seltene Arten für sein privates Museum zu erwerben. Travers erhielt vom Leuchtturmwärter Lyall neun Bälge, die er an Rothschild verkaufte. Dieser beschrieb die neue Art sogleich in einer hastig verfassten Publikation Description of a New Genus and Species of Bird from New Zealand (1894) und nannte sie Traversia lyalli. Damit kam Rothschild Buller zuvor, der dieselbe Art als Xenicus insularis bezeichnen wollte. Rothschild und Buller lieferten sich über Jahre hinweg Auseinandersetzungen über die Entdeckung und Benennung des Stephenschlüpfers.

Der wissenschaftliche Name des Stephenschlüpfers ehrt den Leuchtturmwärter David Lyall, der den Vogel erstmals der Wissenschaft vorstellte. Er wurde als eine eigenständige Gattung, Traversia, beschrieben, zu Ehren des Naturforschers und Kuriositätenhändlers Henry H. Travers, der viele Exemplare von Lyall erhielt.

Stephenschlüpfer – Steckbrief

wissenschaftliche NamenTraversia lyalli, Xenicus lyalli, Xenicus lyalli lyalli, Xenicus insularis, Traversia insularis
englische NamenStephens Island wren, Stephens Island rock wren, Stephens Island rockwren, Steven Island wren, Lyall’s wren, Lyalls wren
ursprüngliches VerbreitungsgebietStephens Island (zuvor auch Nord- und Südinsel Neuseelands)
Zeitpunkt des Aussterbens1899
Ursachen für das Aussterbenauf die Insel eingeschleppte Tiere
IUCN-Statusausgestorben

War eine einzige Katze Schuld am Tod des Stephenschlüpfers?

Trotz der ernst zu nehmenden negativen Auswirkungen durch verwilderte Katzen (Felis catus) auf Ökosysteme, ist das meiste, was wir über das Aussterben des Stephenschlüpfers wissen, schlichtweg falsch oder wurde missinterpretiert. Mit dem 1905 erschienenen Essay On Extinct and Vanishing Birds legte Walther Rothschild sozusagen den Grundstein dafür, denn der britische Zoologe behauptete darin, dass eine einzige Katze alle Stephenschlüpfer auf der kleinen Felseninsel Stephens Island getötet hätte. In seinem Buch Extinct Birds von 1907 wiederholt Rothschild das Gesagte:

„Alle Exemplare, die mir bekannt sind, (…) wurden von der Katze des Leuchtturmwärters gebracht. Offensichtlich war dieser katzenartige Entdecker gleichzeitig der Auslöscher von Traversa lyalli, und viele von ihnen könnten von dieser einzigartigen Katze verdaut worden sein, denn in Briefen, die ich von Mr. Travers erhielt, wurde mir mitgeteilt, dass keine weiteren Exemplare mehr beschafft werden konnten (…).“

Extinct Birds. 1907. S. 24f. W. Rothschild

Die Vorstellung Rothschilds, dass die Art durch eine einzige Katze ausgerottet wurde, wurde seitdem häufig wiederholt. Rothschilds Quelle, Henry Travers, war offensichtlich aber anderer Ansicht, denn in seinen vermutlich in den 1920er-Jahren verfassten Notizen über Native Birds of New Zealand schrieb er:

„Eine Katze [machte] als erstes auf die Vögel aufmerksam, nachdem sie einen vor die Tür eines Leuchtturmwärters legte, der ein Enthusiast für einheimische Vögel war. Die Katzen jedoch machten bald kurzen Prozess mit dem Rest.“

Travers’ Manuskript, MSY 3430, Royal Forest & Bird Protection Society Records, Alexander Turnbull Library, Wellington

Neben Travers sprachen auch andere frühe Autoren von „den Katzen“, die den Stephenschlüpfer ausrotteten, und nicht von einer einzigen Katze. Auch ein Bericht von Travers aus dem Jahr 1898 weist darauf hin, dass eine größere Katzenpopulation die Insel besiedelte:

„Ich war vor etwa vier Jahren auf Stephens Island und die (…) Vögel [Piopio], Sattelvögel beider Arten, Rotkehlchen und andere Vögel waren häufig, insbesondere erstere, da sie in Hunderten vorhanden waren. Jetzt gibt es keinen der ersteren oder zweiten und nur sehr wenige der anderen, alles aufgrund der Tatsache, dass eine Katze, die schwer trächtig war, aus dem French Pass in einem Sack vom Besitzer mit der Absicht mitgenommen wurde, sie während der Überfahrt über Bord zu werfen. Aber als schlechtes Wetter aufkam, wurde die Katze vergessen, bis die Insel erreicht wurde, und bei der Hektik des Anlandens wurde der Sack mit der Katze darin an Land gebracht, und einer der Männer, ohne groß nachzudenken, schnitt den Sack auf und ließ die Katze frei. Jetzt wimmelt es auf der Insel von Katzen.“

Travers an Hector, 27. Dezember 1898, IA1 1898/251, Archives New Zealand, Wellington

Nicht klar ist, ob das die einzige Katze war, die auf die Insel gebracht wurde und die später Vögel vor die Tür des Leuchtturmwärters legte, oder ob dort noch mehr Katzen landeten, aus denen sich schließlich eine große Katzenpopulation formte.

Anhand einer Untersuchung von Archiv- und Museumsaufzeichnungen konnte der Historiker Ross A. Galbreath in The Tale of the Lighthouse-keeper’s Cat (2004) beweisen, dass die Darstellung, das Aussterben des Stephenschlüpfers gehe auf eine einzige Katze zurück, die Sache stark vereinfacht. Wahrscheinlich gelangten Katzen ab 1894 auf die Insel. Sie verwilderten schnell und vermehrten sich stark. Stephens Island wurde so zum klassischen Beispiel für die Auswirkungen, wie die Nachstellung durch verwilderte Katzen auf die Vogelwelt einer Insel haben kann.

Eine Studie aus dem Jahr 2011 hat die Auswirkungen verwilderter Katzen auf einheimische Inselwirbeltiere untersucht und kam zu dem Ergebnis, dass verwilderte Katzen für mindestens 14 Prozent der weltweiten Aussterbeereignisse von Vögeln, Säugetieren und Reptilien verantwortlich sind. Katzen haben den Rückgang von mindestens acht Prozent der vom Aussterben bedrohten Vögel, Säugetiere und Reptilien verursacht.

Den Autoren der Studie zufolge wurden Katzen weltweit auf 179.000 Inseln eingeführt. Da Inseln einen unverhältnismäßig großen Anteil der terrestrischen Biodiversität beherbergen, können die Auswirkungen invasiver Katzen dort immense Folgen für die Artenvielfalt haben. Viele Inselarten, vor allem Inselendemiten, besitzen keine entwickelten Abwehrmechanismen gegen die generalistischen Raubtiere.

Die Nachstellungen durch eine ab 1894 schnell wachsende Katzenpopulation auf Stephens Island waren wahrscheinlich der Hauptgrund für das Aussterben des Stephenschlüpfers, aber es war nicht unbedingt nur eine einzige Katze dafür verantwortlich. Noch in den frühen 1890er-Jahren, als die Insel noch bewaldet und frei von Säugetieren war, verzeichnete man dort 25 unterschiedliche neuseeländische Landvogelarten. Mit der Ankunft der Katzen verschwanden neben dem Stephenschlüpfer auch mehrere andere Arten, wie etwa der heute ausgestorbene Stephens-Island-Pirol (Turnagra capensis minor).

Wann starb der Stephenschlüpfer aus?

Es wird oft berichtet, dass der Stephenschlüpfer nur ein Jahr nach seiner Entdeckung im Jahr 1894 ausgestorben sei. Bereits im März 1895 gab es Berichte in neuseeländischen Zeitungen, die vermuteten, dass der Vogel aufgrund der auf die Insel gebrachten Katzen ausgestorben war.

Galbreath weist jedoch darauf hin, dass die Aufzeichnungen von Buller und Travers nahe legen, dass der Prozess des Aussterbens länger gedauert hat. Nachdem die ersten Exemplare 1894 gesammelt wurden, forderten sowohl Buller als auch Travers weiterhin neue Exemplare an.

Es gibt Hinweise darauf, dass zwischen 1896 und 1899 noch Exemplare des Stephenschlüpfers gesammelt wurden. In seiner Veröffentlichung von 1905 erwähnt Buller, dass er drei Exemplare des Stephenschlüpfers in seiner und in der Sammlung seines Sohnes hatte. Er datiert diese Exemplare auf das Jahr 1899. In einem Brief vom November 1895 an Rothschild schreibt Travers, dass Lyall keine weiteren Exemplare des Stephenschlüpfers gesehen habe und vermutete, dass die Art ausgestorben sei. Dennoch erwähnt Travers in demselben Brief, dass er zwei weitere in Alkohol eingelegte Exemplare besitzt.

Berichte zeigen: 1894 brachte eine Katze offenbar zehn Exemplare, aber weitere zwei bis vier wurden 1895 gesammelt, und zwei bis drei weitere möglicherweise sogar noch bis 1899. Diese Zahlen deuten darauf hin, dass die Population des Vogels nicht unmittelbar nach seiner Entdeckung verschwand, sondern über mehrere Jahre hinweg abnahm. Ein späterer Bericht erwähnt, dass Travers 1898 ein Exemplar an das Otago Museum verkaufte, was wiederum auf weitere gesammelte Exemplare nach 1895 hindeutet.

Die Aufzeichnungen von Buller und Travers zeigen, dass der Stephenschlüpfer nicht unmittelbar nach seiner Entdeckung im Jahr 1894 ausgestorben ist, wie oft behauptet wird. Vielmehr scheint die Population über mehrere Jahre hinweg stetig abgenommen zu haben, bevor sie schließlich um 1899 erlosch.

Andere Aussterbegründe: Sind allein die Katzen Schuld?

Vielfach wurde diskutiert, ob tatsächlich nur die auf die Insel Stephens Island eingeführten Katzen für das Aussterben des Stephenschlüpfers verantwortlich sind, oder ob es – wie so oft – ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren war, das zum Verschwinden der Spezies führte. David Quammen schreibt In der Gesang des Dodo (2001), dass der Stephenschlüpfer nicht die besten Voraussetzungen hatte: Er war „selbst in guten Zeiten (…) riskant selten“. Zudem litt die Spezies sicherlich auch unter ökologischer Naivität, sodass sie zutraulicher war als es ihr guttat. Auch Dieter Luther weist in Die ausgestorbenen Vögel der Welt (1986) darauf hin, dass „die Population (…) bereits zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung extrem klein gewesen sein“ muss.

Aussterben durch Sammelleidenschaft?

Eine Theorie besagt, dass die ohnehin kleine Population des Stephenschlüpfers nicht durch die Anwesenheit von Katzen auf Stephens Island, sondern vielmehr durch das Sammeln von Exemplaren für die Wissenschaft ausgerottet wurde. Zwar handelten sowohl Buller als auch Travers mit Exemplaren des Vogels – Travers verkaufte sie zu hohen Preisen an Rothschild und erhöhte die Preise, nachdem die Art als ausgestorben galt. Buller sammelte ebenfalls Exemplare für seine eigene Sammlung und verkaufte einige an andere Ornithologen. Insgesamt wurden zwischen 1894 und 1899 etwa 15 bis 20 Exemplare des Stephenschlüpfers gesammelt und an Museen weltweit verteilt.

Travers unternahm erhebliche Anstrengungen, um Exemplare des Vogels zu erhalten, und segelte mindestens zweimal nach Stephens Island, um nach ihnen zu suchen. Aus seinen Berichten an Rothschild geht jedoch hervor, dass er keine Vögel fand, was aufrichtig erscheint, da keine Belege vorliegen, die seine Aussagen in Zweifel ziehen würden.

Obwohl der Verdacht naheliegt, dass das Sammeln zur Dezimierung der Population beigetragen haben könnte, gibt es keine stichhaltigen Hinweise darauf, dass das Sammeln allein für das Aussterben verantwortlich war. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass die 15 gesammelten Exemplare von der Katze des Leuchtturmwärters Lyall gefangen wurden. Angesichts des Verhaltens der Stephenschlüpfer – kleine, mausähnliche, halbnachtaktive und flugunfähige Vögel – ist es wahrscheinlicher, dass Katzen weitaus effektiver bei der Jagd auf diese Vögel waren als menschliche Sammler.

Das Interesse der Sammler wie Travers und Buller setzte erst ein, nachdem die Art bereits durch die Katzen stark dezimiert war. Die zeitliche Übereinstimmung zwischen den Berichten über die Aktivitäten der Katzen und dem raschen Rückgang der Population spricht eher für Katzen als Hauptursache des Aussterbens als für das Sammeln durch Wissenschaftler.

Zerstörung natürlichen Lebensraums auf Stephens Island

Ein weiterer möglicher Faktor für das Aussterben des Stephenschlüpfers könnte der Verlust des Lebensraums durch die Abholzung der Insel gewesen sein, aber die Belege zeigen, dass dieser Prozess erst nach 1894 in größerem Umfang begann und daher nicht der Hauptgrund für den Rückgang der Art gewesen sein kann.

Galbreath fand heraus, dass die Abholzung des Inselwaldes 1879 in sehr kleinem Umfang begann, um einen Weg zu der Stelle freizumachen, an die der Leuchtturm gebaut werden sollte. Weitere Rodungen müssen während des Baus des Leuchtturms und seiner zugehörigen Gebäude 1892 bis 1893 erfolgt sein. Im Anschluss fanden noch weitere Rodungen statt, die einen Teil des Buschwaldes von Stephens Island vernichteten. Aus historischen Aufzeichnungen geht jedoch hervor, dass die Insel 1898 noch als dicht bewaldet beschrieben wurde und es bis auf den Leuchtturm und den dazugehören Gebäuden wenig Eingriffe in die Natur gab.

Da die großflächige Abholzung des Waldes auf Stephens Island erst Ende 1903 begann, als der Stephenschlüpfer aller Wahrscheinlichkeit bereits ausgestorben war, kommen die meisten Wissenschaftler zu dem Schluss, dass die Lebensraumveränderungen im Vergleich zur Katzenplage von geringer Bedeutung für das Aussterben des Stephenschlüpfers war.

Die IUCN sieht indes als Ursache für das Aussterben Vogelart die Kombination aus Lebensraumzerstörung und Nachstellungen durch eingeführte Katzen an. Der auf Stephens Island endemische Stephens-Island-Laufkäfer ist um 1931 vermutlich aufgrund des Verlusts von Lebensraum ausgestorben.

Übrigens beantragte der Hauptleuchtturmwärter (Lyall hatte die Insel bereits 1896 verlassen) im Jahr 1897 Waffen, um die mittlerweile zahlreichen verwilderten Katzen auf der Insel zu dezimieren. Es dauerte bis ins Jahr 1925, bis die letzten Katzen auf der Insel ausgerottet waren. Stephens Island ist noch heute katzenfrei und ein streng geschütztes Naturschutzgebiet, das viele seltene und gefährdete Tierarten, darunter die Brückenechse (Sphenodon punctatus), beherbergt.

Stephenschlüpfer: Verhalten und Ökologie

Der Stephenschlüpfer ist ein Sperlingsvogel aus der Familie der Stummelschwänze (Acanthisittidae). Im Holozän war diese Familie durch sieben Arten in vier oder fünf Gattungen vertreten, doch seit der Ankunft des Menschen in Neuseeland existieren heute nur noch zwei Arten in zwei Gattungen.

Über das Verhalten und die Ökologie des Stephenschlüpfers ist nicht viel bekannt, da zwischen seiner Entdeckung und seinem Aussterben nur wenige Jahre lagen. Diejenigen, die Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Stephenschlüpfer in Berührung kamen, hatten es in der Regel mit toten Tieren zu tun. Wahrscheinlich war der Leuchtturmwärter Lyall der einzige, der je einen lebenden Stephenschlüpfer gesehen hatte und das auch nur zweimal. Die begrenzten Beobachtungen haben zu viel Spekulation über die Gewohnheiten und insbesondere die Flugfähigkeit des Stephenschlüpfers geführt.

Buller bemerkte in seiner Erstbeschreibung On a new species of Xenicus from an island off the coast of New Zealand (1895) zum Verhalten der Spezies lediglich, dass sein Korrespondent auf der Insel ihn darüber informiert habe, dass der Stephenschlüpfer halb-nachtaktiv sei. Travers ging in einem Brief an Rothschild etwas genauer auf die Verhaltensweisen der Art ein:

„Mir wurde gesagt (…) dass die wahrscheinlichste Zeit, ihn zu finden, der Winter war, da die Katze in dieser Zeit die meisten Exemplare ins Haus brachte. Lebende Exemplare wurden nur zweimal gesehen, und bei beiden Gelegenheiten hatte die Person, die sie sah, keine Waffe dabei; er erklärte, dass der Vogel wie eine Maus um die Felsen lief und so schnell in seinen Bewegungen war, dass er nicht nahe genug herankam, um ihn mit einem Stock oder Stein zu treffen.“

Travers an Rothschild, 7. März 1895, Rothschild-Papiere, Natural History Museum, London

An diesem Zitat lässt sich ablesen, dass der Stephenschlüpfer ein bodenbewohnender Vogel war, der sehr schnell und flink zwischen Felsen wie eine Maus herumlief, anstatt zu fliegen. Dass offensichtlich keine Versuche unternommen wurden, den Vogel zu erschießen, sondern Stock oder Stein in Betracht kamen, um einen Stephenschlüpfer zu fangen, deutet darauf hin, dass die Art nicht fliegen konnte.

Vögel aus der Familie der Stummelschwänze, die man früher auch als Neuseelandschlüpfer oder Maorischlüpfer bezeichnete, sind lebhafte in Wäldern und Buschwerk lebende kleine Vögel, die bei der Nahrungssuche oft am Boden zwischen Felsen, Steinen und Baumwurzeln angetroffen werden. Sie ernähren sich von Insekten und Insektenlarven. Wahrscheinlich baute der Stephenschlüpfer sein Nest in Bodennähe – ein Umstand, der die Verfolgung durch räuberische Säugetiere begünstigt.

Der einzige Sperlingsvogel, der nicht fliegen kann

Rothschild stellte 1895 in Note on the Stephens Island rockwren Traversia lyalli fest, dass der Stephenschlüpfer „überhaupt nicht flog“. Später erwähnte er in Extinct Birds (1907) auch die „schwache Beschaffenheit des Flügels, die auf Flugunfähigkeit hinweist“. Andere Wissenschaftler lehnten diese Auffassung zunächst ab, da es keine Beweise für die Flugunfähigkeit gebe, oder sie vermuteten zum Beispiel, dass man den Vogel schlichtweg nicht habe fliegen sehen.

Da es keinen eindeutigen Beweis für Flugunfähigkeit bei Sperlingsvögeln (Passeriformes) gab, fasste der neuseeländische Paläoornithologe Philip Ross Millener den Entschluss, Lyalls spärliche Beobachtungen durch morphologische und funktionale Analysen zu ergänzen, um die Flugunfähigkeit des Stephenschlüpfers zu beweisen. Eine solche Analyse war bislang nicht möglich, da keines der vorhandenen Exemplare ein Rumpfskelett mit Brustbein, Rabenbein und Oberarmknochen aufwies. Doch im August 1988 entdeckten Wissenschaftler mehrere fast vollständige Skelette des Stephenschlüpfers auf dem Festland Neuseelands, die zum ersten Mal intakte Brustbeine aufwiesen.

Milleners 1989 veröffentlichte Untersuchung der subfossilen Überreste hat ergeben, dass die Flügel des Stephenschlüpfers im Verhältnis zu seinem Körpergewicht kürzer als bei anderen Stummelschwänzen waren. Zudem ähnelten die Federn des Stephenschlüpfers stark denen anderer flugunfähiger Vögel und das Brustbein war viel zu reduziert, um als Ansatz für die Flugmuskulatur zu dienen. Damit gilt der Stephenschlüpfer als das einzige bekannte vollständig flugunfähige Mitglied der Sperlingsvögel.

Zum Verbreitungsgebiet des Stephenschlüpfers

In historischer Zeit kam der Stephenschlüpfer ausschließlich auf der kleinen, rund 3,2 Kilometer vom Festland entfernten Insel Stephens Island vor, doch Rothschild vermutete in Extinct Birds (1907), dass es sich um eine Reliktart handelte, die einst auch auf dem neuseeländischen Festland verbreitet war:

„Es ist fast unmöglich, dass dieser Vogel [der Stephenschlüpfer] nur auf Stephen Island existierte. Er muss auf D’Urville Island oder auf dem „Festland“ übersehen worden sein, wo er wahrscheinlich ausgestorben ist – durch Ratten und Katzen, und ähnlichen Haustieren – vor langer Zeit.“

Extinct Birds. 1907. S. 25. W. Rothschild

Neben der Flugunfähigkeit des Stephenschlüpfers konnte Millener mithilfe von in Höhlen gefundenen subfossilen Materials auch diese Vermutung Rothschilds bestätigen. Die ersten subfossilen Funde der Vogelart wurden 1976 auf dem Festland Neuseelands identifiziert. Auch die Ornithologen Trevor H. Worthy und Richard N. Holdaway entdeckten 1993 sowohl auf der Süd- als auch auf der Nordinsel Neuseelands Knochen des Stephenschlüpfers in Höhlen und Ablagerungen, die aus Gewölle-Resten des um 1914 ausgestorbenen Weißwangenkauzes (Sceloglaux albifacies) stammen.

In prähistorischer Zeit, bevor das Land von den Māori besiedelt wurde, muss der Stephenschlüpfer in ganz Neuseeland verbreitet gewesen sein. Vermutlich ist er von dort verschwunden, als die indigene Bevölkerung Neuseelands im 13. Jahrhundert Pazifische Ratten (Rattus exulans) einführte. Während der letzten Eiszeit war der Meeresspiegel niedriger, sodass Stephens Island mit dem Rest von Neuseeland verbunden war und der Stephenschlüpfer dort trotz Flugunfähigkeit hingelangte.

Der Stephenschlüpfer war bereits vor der Besiedlung Neuseelands durch Europäer vom Festland verschwunden und nur noch auf Stephens Island anzutreffen. Das bedeutet wahrscheinlich auch, dass – auch ohne Katzen – bereits ein Rückgang der Art stattgefunden hat und sie sich nur dadurch retten konnte, indem sie auf Stephens Island Zuflucht fand.

Museumsexemplare des Stephenschlüpfers

Je nach Quelle variiert die Anzahl der angeblichen Museumsexemplare des Stephenschlüpfers. Zwischen 16 und 18 Exemplare, subfossile Knochen ausgenommen, sind bekannt, die auf Stephens Island gesammelt beziehungsweise von dort ansässigen Katzen getötet wurden. Von Rothschild stammen neun Exemplare, die alle zwischen Juli und Oktober 1894 gesammelt wurden. Drei befinden sich im Natural History Museum in London, vier im American Museum of Natural History, eines in der Academy of Natural Sciences in Philadelphia und ein weiteres im Harvard Museum of Comparative Zoology, Cambridge, Massachusetts.

Bullers Exemplare des Stephenschlüpfers wurden zwischen 1894 und 1899 gesammelt. Ein weiblicher Vogel, datiert auf 1894, befindet sich heute im Carnegie Museum in Pittsburgh. Und ein Paar aus der Sammlung von Bullers Sohn, datiert auf 1899, aber möglicherweise früher erworben, sind im Canterbury Museum in Christchurch, Neuseeland.

Es existiert ein weiteres Exemplar, das Buller von Travers für den englischen Ornithologen Henry Baker Tristram kaufte und das 1898 ans World Museum in Liverpool verkauft wurde. Auch im Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa in Wellington existiert ein präpariertes Exemplar ohne genaue Daten, bei dem es sich möglicherweise um ein Exemplar von Travers handelt. Zudem befindet sich ein Exemplar im Otago Museum in Dunedin.

hatte ein olivbraunes Gefieder mit einem gelben Streifen, der durch das Auge verlief. Seine Unterseite war bei den Weibchen grau und bei den Männchen bräunlich-gelb, wobei die Körperfedern an den Rändern braun gefärbt waren.

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