Überreste des Beutelwolfs im UCL Grant Museum in London
Überreste des Beutelwolfs, der Anfang des 20. Jahrhunderts durch Bejagung ausgerottet wurde. (© Doreen Fräßdorf, fotografiert im UCL Grant Museum of Zoology in London, England, 2024)

Aussterbungen: Wie viele Tierarten haben wir bereits ausgerottet?

In der Geschichte der Biodiversität der Erde hat es fünf Massenaussterben gegeben – allesamt verursacht durch natürliche Phänomene. Es wird vermutet, dass das sechste Massenaussterben derzeit im Gange ist, dieses Mal jedoch allein durch menschliche Aktivitäten. Der Beutelwolf, Stellers Seekuh, der Auerochse und der Dodo sind nur einige der bekanntesten Beispiele für Aussterbungen. Aber wie viele Tierarten haben Menschen tatsächlich ausgerottet?

Laut der Roten Liste der International Union for Conservation of Nature (IUCN) sind seit 1500, dem Beginn der modernen Zeit, 777 Tierarten ausgestorben. Bei einigen dieser Arten könnte das Aussterben auf natürliche Ursachen zurückzuführen sein, aber bei fast allen – wenn nicht sogar allen – hat der Mensch eine entscheidende Rolle gespielt. Der menschliche Einfluss auf die Natur, insbesondere in den letzten 500 Jahren, ist enorm.

Dunkelziffer: Nicht erfasste Aussterbungen

Eine von vielen Aussterbungen: Rekonstruktion des Dodo im Natural History Museum in London
Rekonstruktion des um 1690 ausgestorbenen Dodos. Die Aussterbeursachen waren menschlicher Natur: Bejagung und auf Mauritius eingeschleppte Tiere. (© Doreen Fräßdorf, fotografiert im Natural History Museum in London, England, 2024)

Ein zentrales Problem der Roten Liste der IUCN ist, dass zwar ein Großteil der Vögel und Säugetiere nach Schutzkriterien bewertet wurde, aber nur ein winziger Bruchteil der Wirbellosen. Die Weltnaturschutzunion hat das Aussterberisiko lediglich für etwa fünf Prozent der weltweit bekannten Arten bewertet. Eine 2022 im Journal Biological Reviews veröffentlichte Studie, geleitet von Robert Cowie, Forschungsprofessor an der Universität von Hawaii, schätzt, dass seit etwa 1500 möglicherweise zwischen 150.000 und 260.000 Arten ausgestorben sein könnten. Selbst Cowie war von diesen Zahlen überrascht: „Ich dachte, habe ich bei den Berechnungen Fehler gemacht?“, sagte er gegenüber Live Science.

Cowie und sein Team berechneten die Aussterberate, indem sie eine zufällige Stichprobe von 200 Landschnecken untersuchten und feststellten, wie viele davon ausgestorben sind. Diese Aussterberate wendeten sie auf alle bekannten Arten über einen Zeitraum von 500 Jahren an. Die daraus errechnete Aussterberate lag zwischen 150 und 260 Aussterbungen pro Million Arten pro Jahr (E/MSY – Extinctions per Million Species-Years). Cowie legt nach einem Vergleich mit Aussterberaten anderer Studien einen Durchschnittswert von 100 E/MSY fest. Das bedeutet, dass 100 Arten von einer Million Arten in einem Jahr aussterben.

Wendet man die Rate von 100 E/MSY auf Cowies Methode an, legen die Ergebnisse nahe, dass in den letzten 500 Jahren etwa 100.000 der rund zwei Millionen bekannten Arten ausgestorben sind. Dabei werden unbekannte, wissenschaftlich nicht beschriebene Arten nicht berücksichtigt.

Eine in der Zeitschrift PLOS Biology 2011 veröffentlichte Studie sowie die World Animal Foundation schätzen sogar, dass es etwa 8,7 Millionen Tierarten gibt. Bei einer Rate von 100 E/MSY entspräche dies 770 Aussterbungen jährlich oder 385.000 in 500 Jahren. Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass rund 86 Prozent der existierenden Arten auf der Erde und 91 Prozent der Arten im Ozean noch beschrieben werden müssen. Es ist demnach davon auszugehen, dass viele Arten unbemerkt aussterben, ohne dass wir je von ihrer Existenz wussten.

Zahlen mit Vorsicht genießen

John Alroy, Professor im Department of Biological Sciences an der Macquarie University in Australien, warnt davor, diese Zahlen zu wörtlich zu nehmen. Er betont, dass es zum Berechnen einer Aussterberate notwendig ist, das ursprüngliche Artenvorkommen zu kennen – eine Information, die häufig fehlt. Viele Tierarten leben in wenig erforschten Regionen oder gehören zu schlecht erforschten Tiergruppen. „Wir sollten äußerst vorsichtig sein, eine Zahl auf der Grundlage der bestehenden Literatur festzulegen“, sagte Alroy.

Er schlägt vor, Museumsdaten zu verwenden, um die Aussterberate bestimmter Tiergruppen zu schätzen und zu untersuchen, wie viele Arten im Laufe der Zeit verloren gegangen sind.

Der Einfluss des Menschen auf die Aussterberate

Unabhängig von der genauen Rate sind sich Cowie und Alroy einig, dass der Mensch die Aussterberate und die Zahl der Aussterbungen erheblich verschlimmert hat. Beide gehen davon aus, dass die Zahl der Aussterbungen weit höher ist als die 777 Arten, die in der Roten Liste der IUCN aufgeführt sind.

Die breite Spanne der Schätzungen zeigt deutlich, dass alle Aussterberaten weit über der natürlichen Hintergrundrate liegen. Diese Rate beschreibt das Aussterben von Arten unter natürlichen Bedingungen und ohne menschlichen Einfluss. Dies zeigt eindeutig, dass der Mensch die biologische Vielfalt der Erde erheblich schädigt. Cowie fasst zusammen: „Ob die Aussterberate 100 E/MSY oder 20 E/MSY oder 200 E/MSY beträgt, es ist immer noch viel und es ist immer noch wirklich schlimm.“

Diese Erkenntnisse unterstreichen die dringende Notwendigkeit für verstärkte Naturschutzmaßnahmen, um den vom Menschen verursachten Artenverlust zu verlangsamen und die biologische Vielfalt unseres Planeten zu schützen.

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